Brüssel/Osnabrück (ots) –

Die Verringerung oder gar Vermeidung von Pestiziden für mehr Umwelt- und Biodiversitätsschutz bleibt in der Europäischen Union (https://european-union.europa.eu/index_de) (EU) oben auf der Agenda – trotz eines Anfang Februar vorerst gescheiterten Gesetzentwurfes der EU-Kommission. „Das Thema ist garantiert nicht vom Tisch“, sagte gestern (Montag) Abend Keynote-Sprecher Dr. Klaus Berend von der EU-Kommission in einer Veranstaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). In der Reihe DBUgoesBrussels, dieses Mal in Kooperation mit der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU (https://mbeim.nrw/) in Brüssel, fügte der Direktor für Lebensmittelsicherheit, Nachhaltigkeit und Innovation der Generaldirektion Sante (https://op.europa.eu/de/web/who-is-who/organization/-/organization/SANTE) hinzu: „Die seit 2009 bestehende Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln gilt weiter und ist umzusetzen.“

Dürftiges Zeugnis für EU-Länder bei der Umsetzung der Europäischen Pflanzenschutzrichtlinie

Eine jahrelange, teils von Polemik und Parteischarmützeln geprägte Debatte über einen Gesetzentwurf der EU-Kommission von 2022 zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (engl. Sustainable Use Regulation, kurz SUR) war Anfang Februar vorläufig zum Stillstand gekommen, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den SUR-Entwurf zurückzog. Zuvor hatte bereits das EU-Parlament im November 2023 den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission abgelehnt. Im DBUgoesBrussels unter dem Titel „Spagat Pflanzenschutz: Wie die Sicherung von Nahrung und Natur gelingt“ machte Berend klar, dass die Richtlinie von 2009 – die eigentlich durch die SUR ersetzt werden sollte – nach dem SUR-Aus „jetzt natürlich weiter gilt“. Und zwar mit durchaus strengen Regeln. Der Haken allerdings laut Berend: Auf Basis der 2009-Richtlinie hätten längst nationale Aktionspläne (NAP) von den EU-Mitgliedstaaten in weitaus größerem Maß zur Anwendung kommen sollen, als dies bisher geschehen sei. Berend wies auf einen Kommissionsbericht aus dem Jahr 2020 zur Evaluierung der NAP-Umsetzung hin – mit einem eher dürftigen Zeugnis für die EU-Länder. „Das war ein nicht so gutes Ergebnis“, so Berend. „Nicht zufriedenstellend war zum Beispiel die Anwendung des sogenannten integrierten Pflanzenschutzes.“ Also einer Kombination verschiedener Verfahren, um den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel auf ein Mindestmaß zu reduzieren, um Mensch, Tier und Umwelt besser zu schützen.

Bonde: Alle innovativen Möglichkeiten zum Pestizid-Ersatz nutzen

DBU-Generalsekretär Alexander Bonde sieht eine doppelte Herausforderung: „Es gibt einerseits massive Umweltprobleme durch Pestizideinsatz; andererseits besteht gleichzeitig die Notwendigkeit für Pflanzenschutz zur Nahrungsmittelproduktion.“ Das Thema auszublenden, sei aber „die schlechteste Option“. Bonde weiter: „Es gilt, alle innovativen Möglichkeiten zu nutzen, um Pestizide zu ersetzen.“ Er wies in dem Zusammenhang auf eine DBU-Förderinitiative zur Pestizidvermeidung (https://www.dbu.de/themen/foerderinitiativen/pestizidvermeidung/) mit vielen Praxisbeispielen hin – und zudem ein seitens der DBU gefördertes Vorhaben mit einer Weltneuheit: Am Ende des Projekts stand der weltweit erste Maispflücker zur Verfügung, der bereits während des Ernteprozesses die Maisstoppeln bis zum Wurzelansatz auffasern kann – alles mit einem Ziel: dem Kampf gegen den Maiszünsler. Denn laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (https://www.bmz.de/de/service/lexikon/ernaehrungs-und-landwirtschaftsorganisation-un-fao-14320) vernichten die Maiszünsler-Raupen global rund vier Prozent der jährlichen Maisernte. Durch die mechanische Aufbereitung von Ernteresten, also das Zerkleinern von Maisstroh und -stoppeln, wird dem Maiszünsler das Winterquartier entzogen, er kann sich so erst gar nicht ausbreiten.

Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft

Eine mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft besetzte Gesprächsrunde ließ beim DBUgoesBrussels keinen Zweifel daran, dass ein Nicht-Handeln beim nachhaltigeren Pflanzenschutz fahrlässig wäre. „Wir brauchen allerdings für einen politischen Neustart von Anfang an ein gemeinschaftliches Denken und Agieren im Umwelt- und Agrarbereich“, sagte etwa die Europaabgeordnete Maria Noichl von der S&D-Fraktion. Noichl, zugleich Vorsitzende des Deutschen Verbands für Landschaftspflege (https://www.dvl.org/), haderte indes mit Berends Hinweis auch auf neue genomische Verfahren als Teil der Lösung. Die Parlamentarierin warnte, das könne dazu verleiten, erst gar nicht nach anderen Auswegen zur Pestizidvermeidung zu suchen.

Umweltwissenschaftler Schulz mahnt aussagekräftige Indikatoren an

DBU-Abteilungsleiter Dr. Maximilian Hempel setzte insbesondere „auf kreative innovative Lösungen“ und nannte als Beispiel das von der DBU geförderte Projekt einer im Freiland eingesetzten sogenannten Nützlingsrollwiese der Staatsschule für Gartenbau (https://sfg.landwirtschaft-bw.de/,Lde/Startseite)in Stuttgart-Hohenheim: Die Wiese wird vorkultiviert, um pünktlich zur Pflanzung kurzstehender Kulturen wie Kopfsalat wie ein Rollrasen im Fußballstadion ins Salatfeld platziert zu werden, damit Nützlinge Schädlinge wie vor allem Blattläuse vertilgen können. Ralf Schulz, Professor für Umweltwissenschaften an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (https://rptu.de/), legte für künftige Verhandlungen über Pestizid-Reduktionsziele allen Akteurinnen und Akteuren besonders eine Empfehlung ans Herz: „Wir benötigen sinnvolle Indikatoren und müssen vor allem unterscheiden zwischen Menge und Risiko. Die Reduzierung von Mengen bringt womöglich für die Umwelt nichts.“ Mindestens ebenso entscheidend sei die Toxizität eines Wirkstoffs. Siv Biada schließlich, selbst Landwirtin und Leiterin des Internationalen Pflanzenbauzentrums der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (https://www.dlg-ipz.de/de/) (DLG), verlangte mehr Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern. „Ob Quotenregelungen oder Steuermodelle: Es muss auf jeden Fall berücksichtigt werden, dass es in Europa einheitliche Handhabungen gibt, die Flexibilität und Planungssicherheit garantieren und einen fairen Wettbewerb gewährleisten.“ Trotz derzeit gescheiterter SUR ist für sie jedoch klar, „dass man sich zu Recht mit dem Thema weiter intensiv auseinandersetzt“.

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